Das Korallenhaus by Anna Levin

Das Korallenhaus by Anna Levin

Autor:Anna Levin [Levin, Anna]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3442380960
Goodreads: 20321065
Herausgeber: Blanvalet
veröffentlicht: 2013-12-15T23:00:00+00:00


KAPITEL 16

In der Nacht war der Calima weitergezogen, und Nina freute sich über den Anblick der sich sanft im Wind wiegenden Bananenpflanzen und der tanzenden Schmetterlinge. Die Campbells hatten ihr versichert, umgehend einen Elektriker vorbeizuschicken. Seitdem war kaum eine Stunde vergangen, als sie das Motorengeräusch eines sich nähernden Fahrzeuges hörte. Ein jüngerer Mann mit Vollbart stieg, einen Werkzeugkasten in der Hand, aus dem Auto. Von einem Stromausfall am vergangenen Abend wisse er nichts, er wolle sich aber gleich an die Ursachenforschung machen. Währenddessen ging Nina ins Wohnzimmer zurück und tippte die Erlebnisse des vergangenen Tages in ihre digitalen Reiseaufzeichnungen. Als sie kurz aufblickte, entdeckte sie den Handwerker vor einem der Fenster. Wenig später klopfte es.

»Seit wann sind Sie denn ohne Strom?«, kam er ohne Umschweife auf den Punkt.

Sie wies ins Wohnzimmer, aber er lehnte dankend ab.

»Ich habe es bemerkt, als es gestern dunkel wurde und ich das Licht einschalten wollte. Das muss so gegen neun Uhr abends gewesen sein. Warum fragen Sie?«

Er kratzte sich am Hinterkopf. »Die Hauptleitung, die sich außen auf der anderen Seite des Hauses befindet, wurde durchtrennt, Señora.«

Nina war es, als würde man ihr den Boden unter den Füßen wegziehen.

»Tut mir leid, Señora Michaelis. Da hat Ihnen jemand einen üblen Streich gespielt. Aber keine Sorge, das bekommen wir wieder hin. Ich habe das Material im Wagen.«

Sie nickte mechanisch und sah ihm nach, wie er mit einem gemurmelten »Hola« das Haus verließ. Warum um Himmels willen sollte jemand die Hauptstromleitung durchtrennen? Das ergab doch keinen Sinn!

Nina begann im Wohnraum auf und ab zu laufen. Sie könnte Fabio anrufen. Wie sie ihn kannte, würde er sie mit einem süffisanten Grinsen daran erinnern, dass er sie gewarnt hatte, allein auf dem Hügel zu bleiben. Wenn er das Gespräch überhaupt entgegennahm. Nein, besser nicht. Dasselbe galt für ihre Vermieter. Hastig öffnete Nina die Terrassentür und füllte ihre Lungen mit frischer Luft. Sosehr sie sich auch um Gelassenheit bemühte, fragte sie sich doch insgeheim, ob Fabio nicht recht gehabt hatte.

Sie war wahrlich keine ängstliche Frau, die beim leisesten ungewohnten Geräusch gleich aufschrie. Aber der Gedanke, Fremde könnten heimlich um ihr Haus schleichen, erschien ihr dann doch sehr befremdlich. Mit etwas Überredungskunst konnte sie den Elektriker vielleicht dazu bringen, die durchtrennte Hauptleitung in dem Reparaturauftrag nicht zu erwähnen, um die Nerven der Campbells zu schonen. Nachdenklich trat sie durch die Haustür und öffnete den Briefkasten. Ein Zettel fiel ihr in die Finger, auf dem in Druckbuchstaben nur wenige Worte geschrieben standen:

Letzte Warnung! Hau ab!

Nina starrte auf das weiße Papier, las die Nachricht erneut, schüttelte ungläubig den Kopf und warf den Zettel auf den Wohnzimmertisch. Das war komplett irre! Gegen die Hausmauer gelehnt, hörte sie den Gesang der Vögel und das Huschen einer Eidechse, die – von der Wärme erwacht – aus einer niedrigen Mauer herausgetreten war, um nach Insekten Ausschau zu halten. Der Wind spielte mit den Blättern der Bäume und pustete etwas von der dünnen Sandschicht davon, die der Calima hinterlassen hatte. Die Sonnenstrahlen malten goldene Schimmer auf den geschwungenen Weg, der zur Küste führte.



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